Gutachtliche Stellungnahmen
Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit Beschwerden gegen die Berechnung von Startgutschriften von rentenfernen Jahrgängen anhängig. Als Argumentationshilfe für den Beschwerdeführer, Herrn Rechtsanwalt Bernhard Mathies, hat der Verein zur Sicherung der Zusatzversorgungsrente e.V. (VSZ) Herrn Werner Siepe um die Erstellung eines Gutachtens über die finanziellen Auswirkungen gebeten.
Der Verfasser des Gutachtens ist nicht Mitglied des VSZ und selbst nicht von den Startgutschriften oder der VBL-Zusatzrente betroffen. Er ist pensionierter Beamter (Jahrgang 1942) und Autor von Fachbüchern zur Beamtenversorgung sowie zur Altersversorgung von Arbeitnehmern.
Auftragsgemäß steht die Beantwortung der folgenden Fragen im Vordergrund:
- Welche Gruppe der rentenfernen Jahrgänge aus dem Abrechnungsverband
der VBL West wird durch die Startgutschrift-Berechnung besonders benachteiligt? - Wie stark ist diese Gruppe zahlenmäßig?
- Wie hoch sind die Kürzungen für diese Gruppe gegenüber anderen Gruppen
(zum Beispiel der Gruppe der rentennahen Jahrgänge bis 1946)? - An welchem Vergleichsmaßstab lassen sich diese Kürzungen messen?
Das Gutachten beschränkt sich auf die Untergruppe älterer Alleinstehender innerhalb der Rentenfernen, weil diese Untergruppe besonders stark von den ab 01.01.2002 geltenden Regelungen betroffen ist. Diese Untergruppe konnte schon nach älterem Recht kaum eine normale Versorgungsrente erreichen, sondern musste sich mit der Mindestrente begnügen. Die Mindestrente existiert im neuen Recht nicht mehr, eignet sich aber als Maßstab für die zusätzliche Benachteiligung der Untergruppe.
Es sei betont, dass auch die Startgutschriften anderer Rentenberechtigter als die der Untergruppe empfindliche Verluste enthalten und dass auch diese Startgutschriften weit davon entfernt sind, die vor dem 01.01.2002 erworbenen Ansprüche auszugleichen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die im Gutachten erhobene Forderung nach 1% Dynamisierung weit davon entfernt ist, die Teuerungsrate aufzufangen, und zwar ebensowenig wie die 1%ige Dynamisierung der späteren Rente.
Im Folgenden werden nur die Ergebnisse des Gutachtens aufgeführt. Der volle Wortlaut des Gutachtens (50 Seiten) kann als PDF-Datei aus dem Internet heruntergeladen werden unter www.ra-mathies.de, dort unter Neuigkeiten vom 27.03.2009, oder unter www.startgutschriften-arge.de. In den Dateien sind auch die Unterlagen zur Erstellung des Gutachtens aufgeführt.
Zusammenfassung der Ergebnisse des Gutachtens
- Die Höhe der Startgutschriften für rentenferne Jahrgänge ist nicht pauschal ermittelbar, da sie von vielen Faktoren wie Höhe des Verdienstes in 2001, Familienstand zum 31.12.2001 und Anzahl der Pflichtversicherungsjahre abhängt. Benachteiligt durch die Startgutschrift-Berechnungen ist die Gruppe der älteren Rentenfernen (Jahrgang 1947 bis 1956) mit einer hohen Anzahl von Pflichtversicherungsjahren bis Ende 2001. Ganz besonders benachteiligt sind die am 31.12.2001 alleinstehenden Älteren der Jahrgänge 1947 bis 1956, da die Berechnungsformel nach § 18 des Betriebsrentengesetzes infolge der hohen Lohnsteuerbelastung und der dadurch bedingten geringen Nettogesamtversorgung zu sehr geringen Startgutschriften führt.
- Die Gruppe der älteren und zugleich alleinstehenden Rentenfernen im Abrechnungsverband der VBL West umfasst mindestens 100.000 Personen bzw. mindestens 8 Prozent aller Rentenfernen bei vorsichtiger Schätzung des Anteils der Alleinstehenden von rund 25 Prozent in Anlehnung an die AVID-Studie 2005 (siehe Kapitel 1).
- Die finanzielle Benachteiligung dieser Gruppe bei den Startgutschriften wird in diesem Gutachten am Maßstab von 0,4 Prozent des gesamtversorgungsfähigen Entgelts pro Pflichtversicherungsjahr ermittelt. Für diesen Maßstab spricht nicht nur die Höhe der früheren Mindestversorgungsrente (0,4 Prozent des Entgelts pro Jahr) nach § 44a der bis Ende 2001 gültigen Satzung der VBL, sondern vor allem auch die etwa gleich hohen Startgutschriften bei den alleinstehenden, rentennahen Jahrgängen sowie das angestrebte Leistungsniveau bei der ab 01.01.2002 geltenden neuen Punkterente in Höhe von ebenfalls 0,4 Prozent des Entgelts pro Pflichtversicherungsjahr.
- Die Kürzungen bei den Startgutschriften der älteren, alleinstehenden Rentenfernen machen bis zu 40 Prozent aus, bezogen auf den Maßstab von 0,4 Prozent des gesamtversorgungsfähigen Entgelts in 2001 pro Pflichtversicherungsjahr. Diese hohen Rentenkürzungen sind sowohl in fünf Modellfällen (40 Pflichtversicherungsjahre insgesamt und fünf unterschiedliche Verdienststufen) als auch in fünf Originalfällen nachweisbar.
- Oft wird behauptet, dass die neue Punkterente mögliche Kürzungen bei den Startgutschriften zumindest zum Teil ausgleichen kann. Laut Gutachten setzen sich die Kürzungen bei den Startgutschriften aber als Kürzungen bei der Zusatzrente fort. Die „gemischte“ Zusatzrente ab Rentenbeginn besteht aus der Rentenanwartschaft bis 31.12.2001 (Startgutschrift) und der Rentenanwartschaft vom 01.01.2002 bis zum Rentenbeginn (Punkterente). Bei der Gruppe der älteren, alleinstehenden Rentenfernen zeigt sich in der Vorschau aber, dass der relative Zuwachs bei der Punkterente durch die de facto fehlende Dynamisierung der Startgutschrift wieder zunichte gemacht wird. Im Endergebnis sind die Kürzungen bei der Zusatzrente fast genau so hoch oder geringfügig höher als bei den Startgutschriften.
- Die Gesamtkürzungen über die gesamte Rentenbezugsdauer machen bei der Gruppe der älteren, alleinstehenden Rentenfernen je nach Verdienstniveau und Länge der Lebensdienstzeit mehrere 10.000 Euro aus. Schon bei VBL-Durchschnittsverdienern errechnen sich Gesamtkürzungen von rund 30.000 Euro. Besonders markant ist der Rentensturz bei den rentenfernen Alleinstehenden des Jahrgangs 1947 gegenüber den Alleinstehenden des letzten rentennahen Jahrgangs 1946. Dieser hohe Rückgang bei den Startgutschriften und der Zusatzrente ist nahezu ausschließlich durch die teilweise extrem hohe Kürzung bei der Startgutschrift erklärbar. Das niedrige Niveau der Startgutschriften entspricht in der Mehrzahl der Modell- und Originalfälle nur der früheren einfachen Versicherungsrente (Mindestbetrag nach § 44 der bis Ende 2001 geltenden Satzung der VBL für aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedene Arbeitnehmer), obwohl die lang dienenden alleinstehenden, älteren Rentenfernen eben nicht Ende 2001 aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden sind. Bei der Zusatzrente sinkt das Niveau der Zusatzrente für ältere, alleinstehende Rentenferne in sehr vielen Fällen bis auf die Höhe einer fiktiven Witwenrente ab (60 Prozent der Zusatzrente des verstorbenen Ehemanns, der am 31.12.2001 verheiratet war).
- Die mit 8 bis 10 Prozent aller Rentenfernen noch relativ große Gruppe der älteren, alleinstehenden Jahrgänge 1947 bis 1956 muss Kürzungen bei der Startgutschrift und der Zusatzrente zwischen 35 und 40 Prozent in Kauf nehmen. Diese intensive finanzielle Benachteiligung gegenüber den alleinstehenden Rentennahen und den verheirateten Rentenfernen kann nur durch eine Neuregelung der sog. rentenfernen Startgutschriften beseitigt werden. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass nicht nur Rentenferne mit längerer Ausbildung - siehe BGH-Urteil vom 14.11.2007 (Az. IV 74/06) - durch die bisherigen Startgutschrift-Berechnungen benachteiligt werden, sondern vor allem auch ältere, alleinstehende Rentenferne. Diese Gruppe wird im Vergleich zu den alleinstehenden Rentennahen, den verheirateten Rentenfernen und den jüngeren, alleinstehenden Rentenfernen ungleich behandelt, obwohl wesentlich gleiche Sachverhalte vorliegen.