(2012) Gegenvorstellungen
Zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 08.05.2012 sind derart unfair, dass ein Rechtsanwalt Gegenvorstellungen einreichen musste. Das Bundesverfassungsgericht wies beide Beschwerden nämlich ab mit dem Argument, der Betroffene hätte eine gutachterliche Alternativberechnung einreichen müssen.
Unfair sind die Entscheidungen aus zwei Gründen:
- Falls Gerichte nicht in der Lage sind, die Fakten sachlich zu beurteilen, so können sie hierzu Gutachten bestellen. Die unteren Instanzen hatten offensichtlich mit der Beurteilung keine Probleme. Wenn das Bundesverfassungsgericht zur Beurteilung nicht in der Lage war, so hätte es das Gutachten selbst bestellen können. Das hat es aber nicht getan, sondern die Bestellung den Betroffenen aufgebürdet und damit die Beweislast umgekehrt und auf die Betroffenen abgewälzt. Diese haben nicht die Mittel, derart qualifizierte Gutachten zu bezahlen. Die Gericht war nicht einmal bereit, die vermissten Gutachten noch nachträglich anzunehmen.
- Das Bundesverfassungsgericht hat für diese unkomplizierte Entscheidung 9 Jahre gebraucht.
Aus den beiden Positionen ergibt sich, dass das Bundesverfassungsgericht die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt hat, die unter Artikel 6, Satz (1), für jede Person ein faires Verfahren innerhalb einer angemessenen Zeit verlangt.
Zu den Fällen im Einzelnen:
Bei beide Fällen handelt es sich um Altrentner, die noch vor Einführung der Betriebsrente vom 01.01.2002 verrentet wurden und daher von den Neuregelungen gar nicht betroffen sein sollten. Der erste Betroffene hatte von 1965 bis 1993 (ca. 28 Jahre lang) bis ca. zum 53. Lebensjahr bei einem öffentlichen Arbeitgeber gearbeitet und dann krankheitsbedingt einen Auflösungsvertrag abgeschlossen. Hierdurch fiel die eigentlich erdiente Versorgungsrente von € 759 auf eine Versicherungsrente von € 350 zurück, d. h. um 53%.
Im zweiten Fall ging der Betroffene im Jahre 1999 nach 33 bei der VBL versicherten Arbeitsjahren mit 63½ Lebensjahren in Rente und erhielt eine gesetzliche Rente und eine erdiente VBL-Versorgungsrente in nicht beanstandeter Höhe. Er arbeitete aber nach der Verrentung noch anderweitig weiter und erzielte ein Zusatzeinkommen, das 4 Monate lang über der Grenze von DM 630 lag. Bei der gesetzlichen Rente musste er die Beträge für die 4 Monat zurückzahlen und erhielt anschließend seine normale Altersrente. Die VBL jedoch reduzierte seine Versorgungsrente von DM 1.488,42 auf eine Versicherungsrente von DM 1.003,43 und später von DM 1.277,63, also um 14%.
An dieser Stelle soll nicht auf die rechtlichen Begründungen für die Rentenabsenkungen in beiden Fällen eingegangen werden, um die Leser nicht mit vielen Paragrafen und Regelungen zu irritieren. Das Bundesverfassungsgericht ist darauf auch nicht entscheidend eingegangen. Vielmehr wurden die Verfassungsbeschwerden abgewiesen, weil die Verluste der Betroffenen nicht durch ein Gutachten nachgewiesen wurden.
Ergebnis: Es ist an der Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht von seinen fiskusfreundlichen, aber rechtlich bedenklichen und menschlich nicht zu vertretenden Entscheidungen abrückt.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 08.05.2012 zu den Az. 1 BvR 1065/03 und 1 BvR1082/03 können im Internet bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder - einschließlich der Gegenvorstellungen - unter www.ra-mathies.info nachgelesen werden.