Eine Gesellschaft ohne arme Rentner ist möglich

Vorträge, Workshops, Fachforen und reichlich Diskussionen – ein vielfältiges Programm hat den ersten Armutskongress am 7. und 8. Juli 2016 in Berlin begleitet. Das Resümee dieser zwei intensiven Tage: Armut hat viele Gesichter, doch eine Gesellschaft ohne Armut ist möglich! 23 Organisationen, Gewerkschaften, Wohlfahrts-, Sozial- und Fachverbände, haben diesen ersten armutspolitischen Hauptstadtkongress ausgerichtet und einen Anfang gemacht. Und im nächsten Jahr geht es weiter: am 27. und 28. Juni 2017!

Auch der VSZ e.V. - Verein für die Sicherung der Zusatzrente - hat teilgenommen. Im Mittelpunkt des Kongresses stand allerdings ausschließlich die gesetzliche Rente, nicht die Zusatzrenten oder Betriebsrenten. Das sind jene Zusatzrenten, die den Angestellten im öffentlichen Dienst von den Arbeitgebern einst als Sicherung für das Alter versprochen worden waren. Die Krankenschwester, der Feuerwehrmann, die Sekretärin im kleinen Gemeindebüro, Lehrerinnen und Lehrer und viele andere hatten dafür jahrelang im Vertrauen pflichtgemäß eingezahlt. Deshalb gehört dieses Thema in die öffentliche Diskussion!

Das Punktesystem senkte ab 2002 das Niveau der Zusatzrente im öffentlichen Dienst nicht nur für rund 1,7 Millionen Pflichtversicherte der VBL (Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) empfindlich ab, sondern auch für rund 3,5 Millionen Versicherte bei kommunalen und kirchlichen Zusatzversorgungskassen der Arbeitsgemeinschaft Kommunaler und Kirchlicher Altersversorgung (AKA).

Im Fall des öffentlichen Dienstes ist die Zusatzversorgung zum Tag der Umstellung am 31. Dezember 2001 von einem Gesamtversorgungssystem auf das so genannte Punktesystem ab Januar 2002 gründlich schief gelaufen. Diese Umstellung der wohlverdienten Rentenanwartschaften brachte für einige Betroffene bis zu 50 Prozent Verlust ihrer erworbenen Anwartschaften, wenige gingen mit einem leichten Plus heraus. Solche Ungerechtigkeiten brachten viele der Betroffenen - mit Hilfe des VSZ - reihenweise vor die Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof.

Im Jahr 2007 beanstandeten die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Ungleichbehandlung der so genannten rentenfernen Jahrgänge. Das sind jene, die am 1. Januar 2002 pflichtversichert waren und das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Besonders benachteiligt sind Beschäftigte, die erst spät in den öffentlichen Dienst eintraten. Der BGH erklärte 2007 die Ermittlung der bisherigen Anwartschaften in so genannten rentenfernen Startgutschriften für unwirksam. Vier Jahre (!) verhandelten die Tarifparteien.

2011 kamen - endlich! - die neuen Regelungen. Diese wurden von den Zusatzversorgungskassen übernommen, auch von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Die kritisierte Ungleichbehandlung bei der Ermittlung der Startgutschriften wurde durch die Neuregelung jedoch nicht beseitigt. Im März 2016 erklärte der Bundesgerichtshof die Berechnung der rentenfernen Startgutschriften in seinem Urteil erneut für unwirksam!

Kürzlich hat die VBL mehrere Milliarden Euro Sanierungsgelder für 2013 bis 2015 aus Kapitalerträgen an die Länder zurückgezahlt. Diese Sanierungsgelder sind tariflich vereinbarte Sonderzahlungen der Arbeitgeber für eventuelle Deckungslücken. Der Anlass war seinerzeit die Umstellung vom Gesamtversorgungssystem der Zusatzrente auf das Punktemodell. Jetzt aber hat die VBL festgestellt, dass für 2013 bis 2015 keine Sanierungsgelder erforderlich waren. Und die Arbeitgeber sollen sogar die Sanierungsgelder für 2008 bis 2012 zurückfordern können!

Dagegen hat sich das Risiko der Armut von Rentnerinnen und Rentnern im Jahrzehnt  zwischen 2004 und 2015 lt. Wohlfahrtsverband auf dem 1. Armutskongress von 10,7 auf 15,6  Prozent erhöht. Eine intensive und teilweise höchst emotionale und turbulente Diskussion auf dem Armutskongress mit zahlreichen betroffenen Menschen, die ihre individuellen Situationen eindringlich schilderten, war beredter Ausdruck für die prekäre Lage vieler Rentner.

Wie lange wird es diesmal dauern bis die Tarifparteien die Frage endgültig lösen, fragen sich viele Rentnerinnen und Rentner - und mit ihnen der VSZ. Für viele Betroffene hat sich das Problem inzwischen biologisch erübrigt.

Der Berliner Kongress forderte die zahlreichen Betroffenen auf, Bündnisse zu schmieden, und rief dafür zum 2. Kongress 2017 auf.  

Die Berliner VSZ-Vorsitzende und VSZ-Aktivist Dr. Udo Mack diskutieren das Kongress - Programm (Foto: S. Becker) 

Die Berliner VSZ-Vorsitzende und VSZ-Aktivist Dr. Udo Mack diskutieren das Kongress - Programm (Foto: S. Becker)