Was passiert, wenn die Renten gekürzt werden und die Beiträge in etwa gleich bleiben? Dann laufen die zu wenig ausgezahlten Rentengelder eben auf die Konten der Rentenkassen auf. Die Politik aller Bundesregierungen der letzten 50 Jahre, die Renten kontinuierlich zu reduzieren, findet auch ihre Entsprechung in der sog. Reform der Zusatzversorgungskassen des Öffentlichen Dienstes.
Es gibt eine beachtliche Vielzahl an Informationen hierzu: Der Bericht „Lebenslagen in Deutschland – Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“, Armutsberichte der Wohlfahrtsverbände sowie viele wissenschaftliche Forschungsarbeiten. Daher bleibt weder der Politik noch der Öffentlichkeit die Tatsache verborgen, dass Altersarmut in Deutschland zunimmt und weiterhin zunehmen wird – auch im öffentlichen Dienst.
In Deutschland ist fast jede(r) fünfte Renten-Beziehende über 65 Jahre von Altersarmut betroffen. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren noch weiter angestiegen. Im Jahr 2010 waren Analysen zufolge noch 12,6 Prozent der Senioren über 65 von Altersarmut bedroht. Besonders alarmierend: Bei Frauen lag die Durchschnittsrente 2021 bei 832 € monatlich. Sie sind also besonders stark von drohender Altersarmut betroffen. Im September vergangenen Jahres bezogen 647.515 Ruheständler Grundsicherung im Alter – 18.945 mehr als nur drei Monate früher im Juni 2022, wie laut „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervorgeht.
Wir können feststellen, dass Zusatzversorgungskassen seit 2002 massiv reicher wurden, soweit das nicht ohnehin schon der Fall war. Z.B. konnten 2001 die Katholische Zusatzversorgungskasse und die Emder Zusatzversorgungskasse ihre Renten allein aus den Zinsen zahlen, die sie für ihre Rücklagen erzielten.
Die Vermögenslage der VBL hat hat sich zwischen 2001 und 2010 enorm verbessert von 7035,5 Millionen auf sagenhafte 16.439,9 Millionen €. 2020 lag die Bilanzsumme mittlerweile bei 31.584,3 Millionen €. Manch ein profitabler Weltkonzern verzeichnet derartige Vermögenszuwächse … aber eine Rentenkasse?
Dabei hat die VBL 2016 rund 3 Milliarden € Sanierungsgelder für die Jahre 2013 bis 2015 an die Arbeitgeber zurückgezahlt. Durch Satzungs-änderungen der VBL wurde dann das Sanierungsgeld abgeschafft und der Umlagesatz gesenkt, was jährlich ca. 1,5 bis 2 Milliarden € Entlastung für die Arbeitgeberseite bringt.
Wahrscheinlich hat ver.di zugestimmt, um mit dieser Entlastung der Arbeitgeber tarifliche Lohnerhöhungen besser durchsetzen zu können. Die VBL-Rentenkasse als Spielball – und nicht zum ersten Mal, denn die Gewerkschaft spielt hier in der ganzen Geschichte eine sehr unrühmliche Rolle.
Was ist passiert?
Bei der VBL – Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und den Zusatzversorgungskassen gab es eine Systemumstellung zum 01.01.2002. Diese muss im Zusammenhang des von der damaligen Schröder-Regierung verstärkten Sozialabbaus gesehen werden.
Nunmehr gab es eine Unterscheidung zwischen rentennahen und rentenfernen Versicherten. Die wertmäßige Feststellung der Anwartschaft erfolgte und wurde als so genannte „Startgutschrift“ individuell festgestellt.
Zugleich erfolgte eine massive Absenkung des Versorgungsniveaus. Des Weiteren fand die Festschreibung der Startgutschrift auf der Grundlage der Einkommen der Jahre 1999, 2000 und 2001 statt. Zwar hat die VBL die Anwartschaften 2002 durch „Bonuspunkte“ minimal gesteigert, aber das ist eine bloß kosmetische Änderung. Die jährlich fortschreitende Inflationsrate – die im vorigen Jahr zeitweilig auf dramatische 8% angestiegen ist – bedingt dadurch eine laufende Entwertung der Startgutschrift.
Der Erwerb der Vollrente erfolgt erst nach 44,44 Dienstjahren – statt nach bisher 40 Jahren. Es gab keine hälftige Berücksichtigung von Ausbildungs- und Vordienstzeiten und keine Mindestversorgung mehr.
Ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) am 14.11.2007 bestätigte die grundsätzliche Vereinbarkeit des Systemwechsels als solches mit höherrangigem Recht. Aber: Nicht alle Folgen für die Beschäftigten, die bereits vor dem Jahr 2002 im öffentlichen Dienst waren, waren rechtskonform. Z.B. stellte der BGH fest:
→ Die Übergangsregelung für rentenferne Versicherte war unwirksam. (Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz für „Späteinsteiger“, weil diese keine Vollversorgung erreichen konnten)
→ Die auf der Grundlage der unwirksamen VBL-Satzungsregelung berechneten Startgutschriften waren unverbindlich.
→ Die unwirksame Satzungsbestimmung müsste durch eine wirksame Bestimmung ersetzt werden.
Unfassbare dreieinhalb Jahre später (am 30. Mai 2011) wurden einige der fehlerhafte Regelungen durch neue Regelungen ersetzt – wobei nicht ganz klar ist, inwiefern die neuen Regelungen selbst rechtlich in Ordnung sind.
Das BGH-Urteil selbst hat aus Betroffenensicht Fehler:
→ Eine Ungleichbehandlung für Rentenferne besteht weiterhin, auch nach einem neuem BGH-Urteil.
→ Keinerlei Berücksichtigung in dem Urteil finden Alleinstehende, insbesondere Frauen, Schwerbehinderte u.a.
→ Für alle fehlt die hinreichende Dynamisierung der Anwartschaft von 2001 bis zum jeweiligen Rentenbeginn.
→ Und es fehlt der Schutz der Höhe nach durch die Mindestversorgungs-rente gem. altem Recht.
Ein weiteres BGH-Urteil kassierte 2016 die Startgutschriften in Teilen erneut.
Keine(r) der zahlreichen Betroffenen, die 2007 und 2016 recht bekommen haben, wissen, ob, wie oder wann sie eine gerecht berechnete monatliche Zusatzrente erhalten – wegen der Tarifautonomie. Denn die Gerichte haben bislang keine Frist für eine rechtskonforme Neuregelung gesetzt. Und die Tarifparteien – auch die Gewerkschaft ver.di – lassen sich viel Zeit. Zeit, die die Rentner nicht haben. Es ist ein zynisches Spiel, das im Ergebnis auf eine „biologische“ Problemlösung setzt.
Inzwischen haben laut VBL 360.000 der ehemals rentenfernen Jahrgänge das Rentenalter erreicht. Viele erhalten somit Monat für Monat mutmaßlich eine zu geringe Zusatzrente. „Viele, die gerichtlich dagegen vorgegangen sind, sind inzwischen verstorben“, so Rechtsanwalt Mathies vom VSZ e.V.
Ruhe wird es in Sachen Zusatzversorgung trotzdem erst einmal nicht geben. Es wird weiter geklagt, etliche Verfahren sind noch anhängig, die auch die anderen Unzulänglichkeiten der Übergangsregelung kritisieren.