Jeder blamiert sich so gut er kann / ver.di und GEW haben auf einen offenen Brief geschrieben
Rechtsanwalt Bernhard Mathies, Vorsitzender des VSZ, antwortet ausführlich:
Fakt ist: Seit 2002 ist der Erhöhungssatz für VBL/ZVK-Renten auf ein Prozent tariflich festgeschrieben.
Man wolle die „Umverteilung“ der Mittel in einem „versicherungsmathematischen System“ zu den „langlebenden“ Höherverdienenden verhindern, so ver.di und Gewerkschaft (GEW) im Brief vom 01. März 2019. (Der Brief liegt der Redaktion im Wortlaut vor.) Diese Argumentation entlarvt schon mal die Absicht der Gewerkschaft sich nicht um Alle gleichermaßen zu kümmern.
Irrtümer und Mythen werden gestreut: „In einem versicherungsmathematisch kalkuliertem System …“ also in einem auf Zinsen und Kapital aufgebautem System d. R. - „würde eine höhere Dynamisierung dazu führen, dass die Renten zu Beginn der Rentenlaufzeit niedriger und zum Ende der Laufzeit höher ausfallen würden als derzeit“.
Richtig ist vielmehr, dass alle Rentner, die bis 2001 verrentet wurden in einem reinen Umlagesystem die Rentner der Nachkriegsgenerationen finanziert haben – Umlagesatz 1967: 6,9 Prozent. Mit Zustimmung der Gewerkschaften wurden die Kassen der VBL seit 1992 aber geplündert durch ein Frühverrentungsprogramm für Zivilbeschäftigte der Bundeswehr und für die Privatisierung der Lufthansa AG Ende 1994.
Wahr ist auch: Die Altrentner bis 2001 und ihre Witwen sollen unter Bruch des seit 1967 gegebenen Versorgungsversprechens durch eine laufende Entwertung ihrer Rente seit 2002 zum Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung beitragen, die sich erst in der nächsten oder übernächsten Generation auswirken kann. Eine Kapitaldeckung ist nämlich nur dann lohnend, wenn das Geld nicht verzockt wird und ausreichend Zinsen erwirtschaftet werden.
Vergessen wird in dem Brief dabei, dass durch die laufende Entwertung der Rente wegen einer zu geringen Dynamik auch längerlebende Frauen und insbesondere Witwen benachteiligt werden.
In Wirklichkeit werden also nicht nur die wenigen Höherverdienenden geschädigt, die zudem schon vorher durch Zusatzumlagen höhere Einzahlungen erbracht haben, sondern die große Zahl längerlebender Frauen und insbesondere Witwen! Klar wird, dass die Gewerkschaften eine knallharte Interessenpolitik gegen Höherverdienende, Frauen und Witwen betreiben!
Ziel war seinerzeit die Abschaffung des beamtenähnlichen Versorgungssystems – auch unter Abschaffung der Mindestgesamtversorgung, die insbesondere Frauen im untersten Lohnbereich nach 15 Jahren Versicherungszeit im öffentlichen Dienst 2001 eine Gesamtversorgung von 1.300,00 Euro versprach. Das wäre mehr als die heute geplante „Respekt“-rente nach 35 Jahren versicherungspflichtiger Arbeit!
Soweit noch behauptet wird, dass das alte System „finanziell völlig aus dem Ruder lief“, ist dies leider ebenfalls nur ein Mythos.
Von 1992 bis 1999 stagnierte in den Neuverrentungsfällen der Zahlbetrag je Neu-Rentner wegen realer Kürzung um die Geldentwertungsrate. Denn bereits 1985 war die Absenkung auf die Nettogesamtversorgung erfolgt und 1992 wurden die beamtenähnlichen Sockelsätze durch eine Linearisierung auf 2,294 Prozent je Jahr gesamtversorgungsfähiger Zeit ersetzt. Statt 45 Prozent des gesamtversorgungsfähigen Netto gab es nach 10 Jahren VBL-gesamt- versorgungsfähiger Zeit ab 1992 nur noch einen Versorgungssatz von 22,94 Prozent. Das Versorgungsniveau war daher seit 1992 schon um mehr als 20 Prozent gekürzt. Zudem war 1999 die Heraufsetzung der Altersgrenzen im Rentenreformgesetz beschlossen worden. Allein die Heraufsetzung der Altersgrenzen für Frauen von 60 auf 67 Jahre kompensiert den demographischen Wandel für 70 Jahre.
„Völlig aus dem Ruder gelaufen“, wie behauptet, war daher nichts. Allerdings wurden durch die Mutation „Startgutschrift“ – eigentlich eine Endgutschrift – in Verbindung mit dem mutierten „Punktemodell“ 50 Milliarden Euro allein bei der VBL an den Rentnern und Anwartschaften eingespart. Der Öffentlichkeit, den Gewerkschaftsmitgliedern und sogar den Mitgliedern der großen Tarifkommission von ver.di wurde diese Information zum Umfang und zur Tiefe des Eingriffs in den Medien vorenthalten. Passte der Rot-Grünen-Bundesregierung im Wahljahr eben nicht.
Geradezu absurd ist auch die Rechtfertigung von nur zwei Steuerklassen bei der Ermittlung der Startgutschrift mit dem Argument, dies sei ein „Bestandteil des Netto-Gesamtversorgungssystems“. Zum einen hätte man sich 2001 natürlich fragen müssen, ob das ab 1985 eingeführte System der nettobegrenzten Gesamtversorgung noch korrekt war.
Allein eine bruttobezogene Startgutschrift wäre daher korrekt gewesen und hätte die frauendiskriminierende fiktive Steuerklasseneinteilung vermieden. Das Argument, die Benachteiligung der Ledigen, Geschiedenen und Verwitweten sei indirekt schon immer Bestandteil des Nettogesamtversorgungssystems gewesen, verschweigt, dass die Unterscheidung in zwei Steuerklassen erst 1983 beschlossen wurde und erst seit 1985 galt.
Längerlebende Frauen und insbesondere Witwen werden benachteiligt, die – längerlebend und jünger – möglichst Ihre Ehemänner auch noch kostenlos gepflegt und vorher die nächste junge Generation - rentenschädlich für sich selbst - herangezogen haben. Nach altem bis 2001 gültigem Recht konnte sich die Steuerklasseneinteilung z.B. durch erneute Heirat selbst in der Rente noch ändern, während sie nach der Startgutschrift zum 31.12.2001 auf ewig festgeschrieben wurde.
Die fehlende Beweiserhebung der Gewerkschaften zu den frauendiskriminierenden Auswirkungen der Steuerklasseneinteilung ist geradezu peinlich. Eine ständige, kontinuierlich arbeitende Fachgruppe bei den Gewerkschaften – als aktiver Gegenspieler zu den Arbeitgebern – zur Dauereinrichtung wäre notwendig!
Im alten nettobegrenzten Gesamtversorgungssystem wäre beispielsweise die Abschaffung des Solidaritätszuschlages 2020 sogleich 2020 berücksichtigt worden. So wurde 2001 jedoch mit vollem Solidaritätszuschlag in der Mutation Startgutschrift und voller Sozialversicherungspflicht real eine Unterversorgung auf Dauer für alle festgeschrieben.
Ein Mythos bleibt auch die Behauptung, dass das alte nettobegrenzte System in „zentralen Passagen“ für unwirksam erklärt wurde. Richtig ist vielmehr, dass das Bundesverfassungsgericht zu langen Vordienstzeiten das alte System im Jahr 2000 gerügt hatte, weil die lange Vordienstzeit durch Anrechnung der daraus erworbenen gesetzlichen Bruttorente zu 100 Prozent auf die Gesamtversorgung dazu führte, dass die damalige Klägerin gleichheitswidrig nur eine deutlich niedrigere Mindestrente erhielt.
Zudem war das Bundesverfassungsgericht 1998 der Auffassung gewesen, dass ausgeschiedenen Mitarbeitern eine zeitanteilige Versorgungsrente nach § 2 BetrAVG zuzusprechen sei. Diese gebotene Neuregelung betraf daher nur die Randgruppe der ausgeschiedenen Mitarbeiter. Von der generellen Verwerfung einer beamtenähnlichen Versorgung in „zentralen Fragen“ oder der Mindestversorgung kann daher keine Rede sein – allerdings wäre eine Vereinfachung durch Rückkehr zur bruttobezogenen Versorgung sicherlich zweckmäßig gewesen.
Da aber für ver.di und DGB-Gewerkschaften das gewerkschaftsfremde Beamtentum ohnehin ein Ärgernis ist, war ein versicherungsmathematisches Punktemodell, das zudem der Versicherungswirtschaft neue Versicherungsmöglichkeiten eröffnete und bei der Verwaltung und Steuerung der Betriebsrente den Einfluss der Gewerkschaften vermehrte, weitaus genehmer. In welchem Umfang Höherverdienende, Frauen und Witwen betroffen sind, hat die Gewerkschaften 2001 überhaupt nicht interessiert.
(Redaktionell gekürzt, die Originaltexte zum Nachlesen befinden sich in den Anlagen:
Anlage 1: RA Mathies antwortet ausführlich, Anlage 2: Gemeinsamer Brief von ver.di und GEW, Anlage 3: Offener Brief an ver.di und GEW)